„Schlaf ist das wichtigste Mittel um sich zu erholen“ – Interview mit Prof. Hartmut Schröder

Prof. Dr. Hartmut Schröder ist Vizepräsident der IGNK (Internat. Gesellschaft für Natur- und Kulturheilkunde) und Schlafexperte und spricht im Interview mit uns über die positiven Auswirkungen des Schlafes und Selbstwirksamkeit bei Schlafproblemen.

Am Ende des Artikels finden Sie das Interview im Video-Format

Die Tonspur des Videos zum Anhören.

Schlafzzz: Herr Prof. Schröder, Sie sind Professor für Sprachgebrauch und therapeutische Kommunikation, Experte für Entspannung, Stressbewältigung, Kommunikation und Kultur, Vizepräsident der Internationalen Gesellschaft für Natur-und Kultur-Heilkunde.

Sie plädieren auf eine neue Sicht des Schlafes durch zunehmende Schlafstörungen und neue Studien zur Bedeutung des Schlafes. Worum geht es dann eigentlich?

Schröder: Wir brauchen dringend in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für das Positive, das der Schlaf mit sich bringt. Wir haben immer Meldungen in den Medien, wie: „Politiker haben bis sieben Uhr morgens getagt und eine Entscheidung gefunden.“ So etwas ist kontraproduktiv. Wir können keine guten Entscheidungen finden, wenn wir nicht schlafen. Der Schlaf gilt ja oft in unserer Gesellschaft als Schwäche, als unproduktive Zeit. Wir haben vergessen, dass der Schlaf wahrscheinlich das wichtigste Mittel ist, um sich wieder geistig und körperlich zu reproduzieren. Man kann es heute ganz deutlich aufgrund von Studien auch sagen: Ohne Schlaf sind Menschen schlichtweg nicht nur nicht lebensfähig, sondern sie sind auch nicht fähig, ein glückliches und erfülltes Leben zu führen. Der Schlaf ist eigentlich so etwas wie ein großer Alleskönner.

Schlafzzz: Was kann der Schlaf denn wirklich alles?

Schröder: Er kann zunächst unsere körperliche Gesundheit sozusagen immer wiederherstellen. Das ist eine Art Reinigung. Zudem garantiert der Schlaf auch unsere Leistungsfähigkeit. Das heißt, wir sind nur leistungsfähig, wenn wir auch ausreichend schlafen. Im Schlaf generieren Körper und Geist. Der Schlaf macht aber eben auch gute Laune. Er fördert, auch das ist durch viele Studien nachgewiesen, Kreativität. Er macht uns sogar intelligenter und klüger. Und letztendlich: wer gut schläft, der trifft auch bessere Entscheidungen.

Schlafzzz: Was hat der Schlaf mit unserer Entscheidungsfindung zu tun?

Schröder: Es ist in Studien wirklich häufig und immer wiederholt nachgewiesen: Wer zu wenig schläft, trifft keine guten Entscheidungen. In der Sprache können wir das auch sehr schön ausdrücken im Deutschen: Wir schlafen besser noch mal drüber. Oder wir haben auch solche Wortbildungen wie den Erholungsschlaf, den Schönheitsschlaf.

Und damit komme ich jetzt zu einer ganz wichtigen und wesentlichen Funktion des Schlafes: Das ist die Aktivierung der Selbstheilungskräfte. Und ich glaube, das ist vielleicht auch das wichtigste Argument. Die Selbstheilungskräfte, also der innere Arzt, der ja in den Naturheilverfahren ein ganz wesentlicher Dreh- und Angelpunkt ist, den aktivieren wir am besten im Schlaf. Und daher sprechen wir ja auch vom Heilschlaf, oder früher war das dann der Tempelschlaf. Nicht zu vergessen ist natürlich auch, dass wir im Schlaf auch noch etwas anderes machen als schlafen. Wir können ja auch träumen. Und durch Träume, auch das ist durch Studien sehr schön nachgewiesen, bekommen wir Impulse für das reale Leben. Wenn wir uns mal damit beschäftigen würden, was alles an großen Erfindungen oder auch an Kompositionen in der Musik durch Träume angeregt worden sind, dann ist die Liste eigentlich endlos lang.

Schlafzzz: Was bedeutet das in Bezug auf Schlafprobleme?

Schröder: Häufig hängen Schlafprobleme damit zusammen, dass wir uns nicht richtig darüber im Klaren sind, wie wichtig der Schlaf ist und dass wir übersehen, dass der Schlaf einen ganz besonderen Bewusstseinszustand darstellt. Viele kennen den Schriftsteller Manfred Kyber, der wunderbare Märchen für Kinder und Erwachsene geschrieben hat. Und der hat sich mal gefragt: Wo sind wir eigentlich, wenn wir schlafen? Und er hat dazu festgehalten, dass der Schlaf so etwas wie eine ganz andere Welt ist. Vielleicht sind wir während des Schlafes eigentlich an einem anderen Ort derart, dass wir einen anderen Bewusstseinszustand entwickeln. Und das ist sehr wichtig. Dieser Bewusstseinszustand, den wir während des Schlafes haben, und das hängt jetzt eng mit Schlafstörungen zusammen, der widerspricht dem Zustand, in dem wir am Tag sein müssen, in unserer modernen Gesellschaft. In unserer realen Welt ist es wichtig, dass wir immer verfügbar sind, dass wir immer etwas wollen, dass wir etwas machen, dass wir ständig beschleunigen. Und der Schlaf ist das genaue Gegenteil davon.

Schlafzzz: Was hält dieser Bewusstseinszustand im Schlaf für uns bereit? Wie kann er bei Schlafproblemen helfen?

Schröder: Der Soziologe Hartmut Rosa hat mal von der Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit des Menschen geschrieben. Und wenn man das auf den Schlaf bezieht, dann ist der Mensch im Schlaf wirklich unverfügbar. Vielleicht ist der Schlaf heute sogar der einzige Raum, in dem wir in diesen wunderschönen Zustand der Unverfügbarkeit gehen können. Und in diesem Zustand ist eben auch Selbstheilung möglich. Regeneration. In diesem Zustand haben wir keine Absicht, wir verfolgen keine Zwecke. Ich glaube, jeder, der versuchen würde, mit der eigenen Schlafaktivität etwas anderes als das Schlafen zu erreichen, wird relativ schnell merken, dass das nicht geht. Im Schlafen sind wir auch jenseits von Eile und Beschleunigung und wir unterliegen dann auch nicht mehr den Begrenzungen der Rationalität, was wir insbesondere im Traum sehen. Der Schlaf ist ein Ort der Entschleunigung, an dem wir nichts mehr bewusst und auch nichts parallel machen können. Der Schlaf ist ein Ort außerhalb des Modus des Machens. Wir müssen nichts machen. Schlaf ist einfach mal sein können, so wie wir sind. Und gerade darum ist der Schlaf so wertvoll.

Schlafzzz: Muss man darauf achten, wie man den eigenen Tag gestaltet, ob es genug Pausen und Zeit zur Entspannung gibt, damit man auch gut und erholsam schlafen kann?

Schröder: Ja, das glaube ich. Und darum ist der betroffene Mensch derjenige, der Schlafstörungen hat, der Schlüssel zur Lösung dieser Probleme. Es ist natürlich sehr wichtig, dass wir heute auch eine sehr entwickelte Schlafmedizin haben und auch Schlaftrainings. Aber ganz entscheidend ist der Betroffene selbst. Das heißt, der Betroffene selbst muss zum Protagonisten seiner Heilung, zum Experten in eigener Sache werden. Wir können uns damit beschäftigen: Was war am Tag? Wir können eine Art Schlaf-Tagebuch führen. Wir können uns beobachten. Der Betroffene ist der Einzige, der das Wissen hat, was im Leben funktioniert, was nicht funktioniert, wo vielleicht Möglichkeiten sind zu erklären, wieso die Schlafstörungen auftreten. Vielleicht kommunizieren die Schlafstörungen etwas, was der Betroffene dann auch versteht. Ich bin ganz sicher der Meinung, dass wir hier einen Paradigmenwechsel brauchen. Der betroffene Mensch muss selbst zum Experten in eigener Sache werden. Es darf nicht so sein, dass Experten nur die Mediziner oder Psychologen sind.

Schlafzzz: Was können Betroffene konkret tun?

Schröder: Nachhaltigkeit bei Schlafstörungen, also nachhaltige Lösungen, sind überhaupt nur möglich, wenn der Betroffene in etwas kommt, was wir den Zustand der Selbstwirksamkeit nennen. Selbstwirksamkeit ist das Gegenteil von dem, was passiert, wenn ich mich an andere wende oder in die Apotheke gehe und Schlafmittel hole. Dann klappt es vielleicht mal wieder kurzfristig mit dem Schlaf. Aber ich habe das in dem Sinne nicht selber gemacht. Dieser Begriff Selbstwirksamkeit ist aus meiner Erfahrung heraus ein Schlüsselbegriff für jede Therapie in der Medizin und der Psychotherapie. Denn Selbstwirksamkeit bedeutet, dass derjenige, der sie erfährt, überzeugt ist davon, dass Selbstwirksamkeit eintreten kann, dass er also weiß, dass er selbst etwas dazu beitragen kann, wie es ihm geht, und damit nicht mehr völlig hilflos etwas anderem ausgeliefert ist.

Schlafzzz: Mit Selbstwirksamkeit kommen wir der Lösung von Schlafproblemen also einen deutlichen Schritt näher?

Schröder: Selbstwirksamkeit hat natürlich auch bestimmte Grenzen und Beschränkungen. Bei dem Begriff der Selbstwirksamkeit in der Therapie ist auch wichtig zu erkennen, dass wir nicht alles selbst beeinflussen können. Aber dass wir vieles doch verändern können und an einigen Stellen wichtige Impulse setzen können. Dass wir die Ursachen für Probleme identifizieren, die dazu beitragen, dass es uns nicht so gut geht. Und wenn man in der Therapie beobachtet, wo wir wirklich Erfolge bei Patienten haben, dann sind das immer diejenigen, die eine hohe Selbstwirksamkeit haben. Die über ihren Lebensstil, über die Bewertung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen und auch über die Einsicht, dass man daran etwas ändern kann, eigentlich schon den Schlüssel für die Lösung haben. Diese Patienten sind dann nicht nur selbstwirksamer, sondern haben auch eine viel größere Ausdauer bei der Lösung von Problemen, Herausforderungen und sogenannten Rückfällen. Sie leiden auch weniger an Angst und Depression.

Schlafzzz: Also brauche ich erst mal die Erkenntnis, dass ich selbst etwas ändern kann, das Vertrauen zu meinem Körper, dass es gelingt?

Schröder: Genau. Es passiert ganz häufig, dass Menschen bei Schlafstörungen versuchen, angestrengt diese Schlafstörungen zu lösen. Das heißt, man hat ein klares Programm und setzt sich bestimmte Ziele. Das entspricht eigentlich nicht dem Bewusstseinszustand des Schlafens. Im Schlafen sind wir eben absichtslos. Wir beeilen uns auch nicht damit, etwas zu tun. Wir beeilen uns noch nicht mal im Schlafen selbst. Wenn man aber ein bisschen ängstlich auf seine eigenen Schlafstörungen schaut und immer in dem Modell Erfolg, Misserfolg rechnet, dann kann man gar nicht einschlafen. Ich muss bereit sein, dass der Schlaf zu mir kommt.

Schlafzzz: Man muss sich also in Gelassenheit üben und darf nicht zu verbissen sein?

Schröder: Je mehr ich schon in der Vorbereitung auf den Schlaf in einen Zustand einer leichten Trance komme, desto besser ist es dafür, dass sich der Schlaf dann auch ausbreitet. Schlafen ist etwas, was außerhalb des Machens und Tuns liegt. Es ist eine letztendlich auch eine Gnade, wenn wir gut schlafen. Das Beste ist, wenn wir nicht in diesen Modus des ständigen Machens und Tuns bleiben, sondern uns davon ein bisschen befreien und einfach denken: jetzt ist die Zeit der Unverfügbarkeit. Jetzt schaue ich einfach, was kommt. Wenn der Schlaf kommt, ist es gut. Wenn nicht, dann ist es auch okay. Ich muss das dann auch annehmen. Schlafstörungen und -probleme sind vielleicht auch eine Nachricht an uns, dass im Leben etwas aus dem Rhythmus geraten ist, dass wir wieder in die Balance kommen müssen. Und daher würde ich bei Schlafstörungen, wenn Sie nicht anders erklärbar sind durch Krankheiten und schwere Probleme in der Umgebung, wirklich dafür plädieren, dass wir versuchen, in eine Gelassenheit zu kommen, damit der Schlaf sich wieder einstellen kann.

Schlafzzz: Was ist Ihr persönlicher Schlaftipp?

Schröder: Das ist immer der, kurz vor dem Einschlafen den Tag Revue passieren lassen, und an die schönen Momente zu denken. Das können bereits 1-3 sein, sich darin nochmal ein bisschen wie in einem Wellnessbad zu wiegen und dann einfach mit einem Lächeln im Gesicht ins Reich der Träume treten.

Schlafzzz: Ganz herzlichen Dank für das Gespräch. Alles Gute.

Schröder: Bleiben Sie gesund. Ich danke Ihnen auch.

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Dieser Text wurde in gemeinschaftlicher Arbeit der Redaktion von Schlafzzz erstellt. Es sind verschiedene AutorInnen an den Beiträgen beteiligt, die sich alle intensiv mit dem Thema auseinander setzen und so informative Inhalte für euch erstellen.

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